Bei Uber darf jeder Chauffeur sein, der ein Auto hat. Muss man doch mal ausprobieren! Ein Selbstversuch mit finanziell überraschendem Ausgang
Die Schicht als Chauffeur beginnt mit einem illegalen Wendemanöver. Es ist 21.09 Uhr am Samstagabend, meine ersten Fahrgäste warten auf der anderen Straßenseite. Ich muss irgendwo umdrehen. Darf ich hier zwar nicht, aber die Anfahrt hat länger gedauert als vorgesehen und ich bin ein ehrgeiziger Chauffeur. Ich fahre einen U-Turn über die durchgezogene Linie, ein Taxi heult hupend vorbei. Fängt ja gut an.
Rechts neben dem Lenkrad steckt ein Smartphone in einer Halterung, das mir das Ziel anzeigt: Auf der Uber-App ist der Stadtplan von München zu sehen, darauf ein schwarzes Auto und eine Figur. Da wo die Figur ist, muss ich hin. Aber eigentlich muss ich gar nichts. Laut dem Vertrag, den ich ein paar Tage vorher unterschrieben habe, bin ich ein normaler Autobesitzer „auf der Suche nach Mitfahrern“. Die „Mitfahrer“ dürfen mir eine „freiwillige Servicepauschale“ zahlen, wenn ich sie mitnehme. Ist natürlich Unsinn, der Preis ist sehr genau festgelegt: 75 Cent pro Kilometer plus ein Euro Starttarif. Aber Juristen haben das so formuliert, damit das Geschäftsmodell von Uberdeutschem Recht entspricht. Fragt sich nur: Kann sich das als Fahrer lohnen?
Meine ersten Gäste steigen vor dem Goldenen Hahn aus, ich melde die Fahrt mit einem Fingerwischen übers Display als beendet und vergebe eine Bewertung (fünf Sterne – nette Jungs, die mir mein Wendemanöver nicht krumm genommen haben). Bei Uber bewerten sich alle gegenseitig, also die Fahrer auch ihre Gäste. Ich bin wieder bereit. Zwei Minuten darauf piept das Handy. Der nächste Auftrag liegt auf dem Stadtplan ganz schön weit links. Es geht raus nach Moosach. Geschätzte Ankunftszeit laut App in neun Minuten. Klingt wie eine mittelschwere Mission bei GTA V.
Der Fahrgast in Moosach: ein 22-Jähriger mit Lederjacke und Lackstiefeletten und seine pelzbekragte Freundin. Reiseziel: P1.
Sie: „Ah. Mist, ich muss noch zur Bank.“
Er: „Easy. Die Andern sind schon da, da wartet safe schon ein Flascherl auf uns.“
Sie: „Wie die alten Pädos! Schön mit Flasche in der Ecke. Safe!“
Er: „Ich sag nur: Hinterzimmer, Shotgun!“
Das P1 hat sogar am Eingang zum Parkplatz einen Türsteher. Er beugt sich zum Fenster herab und sieht am Innenspiegel den Duftbaum mit dem Firmenlogo baumeln, den ich bei der Einweisung bekommen habe. „Uber, oder?“ Er winkt mich durch, gütig lächelnd.
Überhaupt freuen sich alle, die mich heute sehen. Kein einziger Gast ist pampig oder unfreundlich, weder die Nüchternen noch die Besoffenen. Taxifahrer erzählen da ja ganz andere Dinge – von herrischen Fahrgästen, von unverschämten Lümmeln, die am Radio rumdrehen und am Ende Rabatt wollen, weil sich der Fahrer angeblich verfahren hätte. Die Freundlichkeit liegt wohl auch daran, dass mit mir heute jeder Geld spart. Und zwar richtig viel: In München kostet Uberim Schnitt halb so viel wie ein Taxi. In Berlin, Hamburg und Düsseldorf sogar noch weniger – dort darf die Firma nach Gerichtsurteilen nicht mehr verlangen als 35 Cent pro Kilometer. Das ist der Richtwert für Mitfahrgelegenheiten. Sind die Leute bei dem Preis noch freundlicher? Kaum vorzustellen.
Auch sonst klingt auf den ersten Blick alles dufte: Die Arbeit ist völlig selbstbestimmt, ich muss mich als Fahrer nach keinem Dienstplan richten, einfach über die App einloggen, sobald ich Zeit habe, schon schickt sie mich zum nächstliegenden Fahrgast. Dass Uber mit seinem Geschäftsmodell laut ADAC Sicherheitsrichtlinien unterläuft, weil die Fahrer weder eine ausreichende Versicherung, noch einen Personenbeförderungsschein brauchen? Interessiert von meinen Fahrgästen kaum jemanden.
Die Registrierung als Fahrer läuft so: Man meldet sich auf der Webseite an. Man lädt eine Kopie des Führerscheins und eine des Ausweises hoch. Dann noch einen Auszug des Registers in Flensburg (bitte nicht mehr als drei Punkte) und ein polizeiliches Führungszeugnis (bitte ohne Eintrag). Dann darf man zur Einführung.
Uber ist ein Start-up aus dem Silicon Valley, und genau so sieht das Büro in München auch aus. Riesenfenster, Riesenkühlschrank, Riesencouch. Zur Einweisung gibt es Schnittlauchbrezen und Limo. Der nette Mitarbeiter mit Uber-Käppi klappt den Laptop auf, klickt sich durch eine Powerpoint-Präsentation und erklärt die wichtigsten Regeln: Halte dein Auto sauber. Halte dich selbst sauber (trag möglichst ein Hemd). Biete den Kunden am besten Wasserflaschen an (kriegst du ganz billig im Supermarkt). Ruf die Kunden nur an, wenn du dich krass verspätest (nervt die Kunden sonst nur). Der nächste Punkt ist dem Mitarbeiter mit dem Käppi ein bisschen unangenehm, aber er steht halt nun mal auch da: Bei sexueller Belästigung eines Fahrgasts bist du sofort raus.
Klingt insgesamt machbar.
Mitternacht. Ich fahre Luis, um die 30, von seiner Wohnung in der Innenstadt in ein Holiday Inn in Sendling. Was will er da? Er riecht gut und wirkt ein bisschen nervös, hat er vielleicht ein Date? Ich würde gern fragen, aber ist das nach den rigiden Regeln vielleicht schon sexuelle Belästigung? Taxifahrer, die regelmäßig Menschen durch die Nacht fahren ohne neugierige Fragen zu stellen, müssen Selbstbeherrschungsmonster sein.
Luis erzählt, er sei oft in London und benutze Uber seit einem Jahr. In London sei Taxifahrer ein Beruf, für den man eine dreijährige Ausbildung braucht. „Und trotzdem finden die Fahrer ihren Weg nur mit Navi!“ Für ihn ist Taxifahrer ein todgeweihter Beruf, „wie Reiseverkehrskaufmann“, sagt er, „wer bucht denn heute noch einen Flug im Reisebüro?“
Kurzer Wirtschaftsgrundkurs: Uber hat ein „disruptives“ Geschäftsmodell. Das heißt, man zerstört mit Innovationen alte Geschäftsmodelle. Und ist stolz darauf. Was Amazon mit dem Einzelhandel macht und Airbnb mit dem Hotelgewerbe, das machtUber mit der Taxibranche: Es reißt mit Kampfpreisen Marktanteile an sich. Und wie auch Amazon und Airbnb ist es dabei irre erfolgreich: Es nutzt neue Technologien, um Kunden das gewünschte Produkt billiger anzubieten als jeder etablierte Konkurrent.
Dass es dabei mühsam erkämpfte Normen der Branche (Mindestlöhne, Arbeitsschutz, Sozialabgaben) umgeht, merken die Kunden kaum. Sie sehen nur die tollen Preise und hören, wie die alte Branche jammert und sich beschwert wie ein Großvater, der nicht gemerkt hat, dass der Krieg vorbei ist. Im Sommer streikten Taxifahrer in ganz Europa gegen die Billigkonkurrenz – Uber bedankte sich für die Gratiswerbung und verkündete Nutzerzahlen, die um 700 Prozent gestiegen waren. Viele Kunden sind automatisch auf der Seite der Neuen, der vermeintlichen Underdogs mit den schön designten Websites und den schneidigen CEOs. Das macht den Kampf so ungleich.
Zurück auf der Straße. Zwischen ein und zwei Uhr nachts hält die Polizei überall Autos an. Die Sonnenstraße ist wie ein Riesenslalom zwischen stehenden Streifenwagen und Menschen, die in Röhrchen blasen. Eine weiße Stretchlimousine mit Fürstenfeldbrucker Kennzeichen und von innen beschlagenen Scheiben kreuzt zum dritten Mal meinen Weg. Der Fahrer guckt ausdruckslos. Das Pokerface der Nachtfahrer.
Am Isartor hole ich Emily ab, Anfang 30, kommt gerade von einem Abend bei Freunden. Sie kennt sich zufällig mit Dingen wie Uber aus, sogar ziemlich gut, denn ihre Firma investiert in Start-ups. Sie erzählt, wie Uber gerade den Nahverkehr in den USA auf den Kopf stellt. Ihre amerikanischen Freunde lassen neuerdings ihr Auto zu Hause stehen, um mit Uber zu fahren. Ist billiger als Benzin plus Parkgebühren.
Das ist der große Vorteil der Share Economy, der ja auch die Idee von Airbnb so schön klingen lässt: Alle teilen alles, ob Autos oder Wohnungen. So brauchen alle am Ende weniger Ressourcen. Klingt verdammt gut. Aber Kritiker sagen, dass dadurch Wohnraum oder Mobilität nicht mehr für alle zugänglich ist.
Emily sagt, sie ist heute nicht mit der Tram gefahren, weil sie da zehn Minuten in der Kälte hätte warten müssen. Das Uber-Taxi war in drei Minuten da. „Schon lustig“, sagt sie und guckt aus dem Fenster, „dachten wir nicht alle mal, dass wir so umweltfreundlich sind?“
Fast jeder in dieser Nacht erzählt von sich aus über sein Verhältnis zu Uber. Und jeder hat eine persönliche Geschichte.
Zum Beispiel Caitlin, Ende 20. Schauspielerin aus Chicago, für ein amerikanisches Weihnachtsstück in Deutschland unterwegs. Wenn sie daheim wenig Auftritte hat, fährt sie selbst Taxi, sagt sie. Aber nicht fürUber, sondern dessen amerikanischen Konkurrenten Lyft. Gleiches Geschäftsmodell, „aber du musst kein so schickes Auto haben“. Sie sagt, sie komme damit – und mit Babysitten – ganz okay über die Runden.
Dann steigen Benno, Anfang 40, und zwei leicht lallende Frauen ein. Vom Sendlinger Tor heim nach Moosach, bitte. Es ist drei Uhr, inzwischen sind acht von zehn Autos auf der Sonnenstraße Taxis. Auch Bennos Vater ist Taxifahrer, in Pasing. Und da fährt er mit der bösen Konkurrenz? „Is’ halt saubillig“, sagt Benno und lacht. „Lang gibt’s euch ja eh nicht mehr! Und keine Sorge, die Taxler wehren sich schon.“
Zumindest mit Letzterem hat er recht: Das Landgericht Frankfurt hat kürzlich zwei Uber-Fahrern verboten, Fahrgäste mitzunehmen. Taxiunternehmer waren inkognito mitgefahren und hatten die Fahrer angezeigt. Wenn sie noch mal erwischt werden, droht ihnen ein Ordnungsgeld von je 250 000 Euro. Die Taxiunternehmer hoffen, dass solche Urteile andere Fahrer abschrecken. Dass Uber seinen Fahrern die Strafe erstattet, ist unwahrscheinlich: Im Vertrag verpflichtet sich jeder Fahrer, das Unternehmen „für alle Ansprüche (. . .) zu entschädigen“. Egal ob für einen Unfall oder eine Geldbuße. Ubersieht sich als neutraler Vermittler.
Es ist kurz vor vier, ich fahre noch ein Pärchen nach Hause und lerne: Niemand gibt einem Uber-Fahrer Trinkgeld. Außer Leute aus Moosach. Benno vorhin fünf, das Paar jetzt zwei Euro. Ich bin gut gelaunt und die Straßen sind so frei, als wäre München heimlich evakuiert worden. Also fahre ich noch einen allerletzten Auftrag. Ella, Anfang 20, will aus dem Crown’s Club nach Hause zum Hohenzollernplatz. „Hast du Durst?“, fragt sie und holt zwei Dosen aus ihrer Handtasche. „Der Bellini ist für mich, der Hugo für dich.“ Ich denke kurz an die 250 000 Euro, auf die mich heute glücklicherweise niemand verklagt hat. Dann stoßen wir an und ich steuere einhändig die leere Leopoldstraße hinauf.
Epilog: Am Montag kommt dann die Abrechnung. 13 Fahrten in sieben Stunden. Umsatz: 95,30 Euro. Davon behält Uber 22,90 Euro für die Vermittlung. Bleiben mir gut 72 Euro. Nicht schlecht, findet der nette Uber-Mitarbeiter, der mich eingewiesen hat. Aber offenbar denkt er, dass mein Auto nichts kostet. Wie viel es tatsächlich ist, das listet der ADAC in einer Datenbank sehr detailliert auf.
Mein VW Touran, Baujahr 2011, kostet mit Benzin, Betriebskosten und Wertverlust 53 Cent pro gefahrenen Kilometer – wenn ich ihn, wie der durchschnittliche Deutsche, nach vier Jahren weiterverkaufe. Mit allen An- und Rückfahrten bin ich 170 Kilometer gefahren. Macht laut ADAC 90 Euro Ausgaben. Mit Uber verdiene ich aber logischerweise nur, wenn ein Fahrgast im Auto sitzt – in meiner Schicht auf 75 Kilometern. Ich habe also, selbst wenn ich das Trinkgeld noch miteinrechne, für sieben Stunden Arbeit elf Euro draufgezahlt. Wenigstens war der Hugo umsonst.