50 Jahre Ekstase: Das „Pacha“ ist der erfolgreichste Club der Welt. Ein Geschäftsbesuch auf Ibiza An einem sonnigen Herbsttag um kurz nach zwei Uhr rasen drei schwarze Vans mit abgedunkelten Scheiben über einen Feldweg. In den Wagen sitzen, Hintern an Hintern, 13 Frauen in Tangas und weißen Perücken sowie ein muskulöser Mann im Slip. Die Autos rumpeln durch ein Schlagloch, drinnen zieht eine Frau ihren blauen Lippenstift nach und flucht. Am Strand stoppt die Kolonne. Die Frauen und der Mann steigen aus und schreiten im Gänsemarsch Richtung Wasser.
Die Saison auf Ibiza ist fast vorbei an diesem Donnerstag Ende September 2017, und für das Pacha war es keine gute. Sie war nicht katastrophal, das nicht. Aber Kenner der Insel wiegen besorgt den Kopf, wenn man sie auf den Club anspricht, der die 13 Frauen und den Mann im Slip auf ihre Mission geschickt hat.
Der Auftritt am Strand ist ein tägliches Ritual seit Beginn der Saison. Vorneweg geht der Mann. Er reckt einen Stab mit einem Schild in den Himmel, wie die Standarte eines Heers, das ins letzte Gefecht zieht. Dahinter tänzeln die Frauen. Auffordernd blicken sie nach links und rechts zu den Strandgästen, die beschämt bis gierig zurückschauen. „Robin Schulz und Freunde“, steht in Englisch auf dem Schild, „Jeden Donnerstag“. Wo genau, steht da nicht. Das Logo mit den Kirschen reicht.
Ein langjähriger Mitarbeiter des Clubs sagt in diesen Tagen mit Sorgenfalten auf der Stirn: „Dieser Laden ist Wahnsinn, Wahnsinn, einfach nur Wahnsinn. Aber deshalb muss es auch jeden verdammten Abend Wahnsinn sein. Und wenn es das nicht ist, so wie dieses Jahr, dann ist es richtig scheiße.“ Einfach nur Wahnsinn. Eine Disco, in der schon vor 40 Jahren Mick Jagger bekifft getanzt hat und vor 30 Grace Jones auf Ecstasy. Ein Club, der heute an jedem Abend von mehr als 3000 Gästen zwischen 35 und 85 Euro Eintritt verlangt, verlangen kann, weil er längst zur Legende geworden ist – so ein Laden hat ein Versprechen zu erfüllen. Zumal im Jubiläumsjahr.
Das Pacha, ausgesprochen „Patscha“, ist 50 geworden. Seine Geschichte ist erst mal die einer ewigen Party; aber sie ist auch ein Stück Wirtschaftsgeschichte. Der Club hat von Ibiza aus das Geschäftsmodell des Feierns perfektioniert. Und die Insel hat er mitfeiern lassen, im Kleinen (die Einheimischen zahlen keinen Eintritt) wie im Großen: Das Nachtleben ist heute Ibizas einzige Industrie. Die Bevölkerung der Insel schwillt in den Sommermonaten von 150 000 auf mehr als das Doppelte an. Aber immer mehr Clubs konkurrieren mit dem Pacha um die Touristen.
Der Chef möchte darüber nicht reden. Ricardo Urgell, 80 Jahre alt, ist Gründer der Pacha Group, einer weltweit agierenden Kette. 1967 hat er den ersten Club eröffnet, in Sitges bei Barcelona. Das Logo sollte aussehen wie Brüste, die in einem roten Bikini stecken. Den Namen, so erzählt man sich, habe er gewählt, weil seine Frau ihm damals prophezeite, sein Ehrgeiz werde ihn noch reich wie einen Pascha machen. Heute ist Urgell Ehrenbürger von Ibiza-Stadt, Träger des spanischen Verdienstordens für Tourismus – und tatsächlich einer der vermögendsten Spanier. Urgell hätte wohl viel zu erzählen. Aber ein Interview lehnt er ab. Es heißt, er habe genug.
Ricardo Urgell, ein kleiner Mann mit weißer Mähne und ebenso weißen Hemden, hat ein Jahr der Niederlagen hinter sich. Er wollte sein Imperium abgeben, aber seine Kinder wollen es nicht. Er hat mit einem chinesischen Investor verhandelt, aber der Deal ist geplatzt. Also hat Urgell 90 Prozent seines Unternehmens an eine Private-Equity-Gesellschaft aus London verkauft. Für 350 Millionen Euro. Ursprünglich wollte er 500 Millionen, ein Kenner der Branche sagt, dieser Preis wäre auch angemessen. Und dann wäre da noch der Erzfeind.
Wer diesen Millionenmarkt und seine Regeln kennenlernen möchte, sollte erst mal den Frauen und dem Mann im Slip zum nächsten Strand folgen. Dort verteilen sie silberne Mäppchen mit dem Kirschlogo, ein perfektes Werbegeschenk: Der Platz reicht genau für Lippenstift, Glitzerschminke, Kondome, Kreditkarte. Um eine Reihe von gelben Sonnenschirmen mit dem Logo einer Champagnermarke aber machen sie einen Bogen. Die gehören zu einem Club namens Ushuaia.
Die Insel teilt sich auf zwischen zwei alten Herren. Der eine regiert östlich der Hauptstadt Ibiza-Stadt, der andere westlich. Östlich liegt das Revier von Ricardo Urgell, mit dem 1973 eröffneten Pacha, demPacha-Hotel, ein paar Spitzenrestaurants und dem Luxusresort Destino. Westlich liegt das Territorium von Abel Matutes. Er betreibt neben Hotelketten und Nachtclubs den Strandclub Ushuaia, der tagsüber geöffnet ist. Die Männer könnten kaum unterschiedlicher sein: Urgell fing als Besitzer einer Wasserskischule an; Matutes war unter Franco Bürgermeister von Ibiza-Stadt und in den Neunzigern immerhin spanischer Außenminister.
In diesem Jahr ist Matutes ein Coup gelungen. Er hat direkt neben dem Ushuaia einen neuen Club eröffnet: The Hi. Mit denselben Öffnungszeiten wie das Pacha. Wer also um Mitternacht aus dem Ushuaia kommt und weitertanzen will, kann sich den Weg in den Osten der Stadt sparen. Ein herber Schlag für Ricardo Urgell.
Über der Mittelmeerinsel, nur ein Sechstel so groß wie der Nachbar Mallorca, hängt im Herbst 2017 die Frage, wie es nun weitergeht mit dem Pacha. Denn die Kirschen sind längst bekannter als die offizielle Flagge der Insel, vier Burgen auf gelb-rot gestreiftem Hintergrund. Es geht nicht nur um die größte Clubmarke der Welt, es geht auch um den Mythos von Ibiza.
In ihrer Blütezeit in den Neunzigern gab es mehr als 80 Pachas auf der Welt, zwischen Gran Canaria und Sydney, in den Nullerjahren sogar eines in Dubai. Aktuell sind es noch sieben. Der Verkauf an den Investor, einen Nachfolger der Pleitebank Lehman Brothers, hat die Mitarbeiter verunsichert. Wird der Club die Kurve kriegen? Überlebt die Disco den Abtritt des Patriarchen?
Das Pacha war mal ein weißer, würfelförmiger Bungalow. Eine typisch ibizenkische Finca, umgeben von Palmen. Nur sind über die Jahrzehnte so viele Nebenbauten angedockt, Dächer aufgestockt, Türen eingelassen, zugemauert und vergrößert worden, dass der Komplex heute einen ganzen Häuserblock einnimmt. Er sieht aus, als hätte ein Fünfjähriger mit Bauklötzen gespielt.
Um sieben Uhr früh tänzelt der letzte Betrunkene aus dem Club. Bei Tageslicht erinnert der Innenraum an ein seltsam gebautes Amphitheater. Unten die Tanzfläche, ringsherum verschieden große Ränge und Balkone mit Tischen und Sofas: Wer in den VIP-Bereich will, muss für einen Zehner-Tisch die 3000 Euro Getränkeumsatz im Voraus zahlen. In dem Labyrinth aus Gängen und Treppen und Tunneln tut man sich auch nach einer Woche noch schwer, die Toiletten zu finden.
Eine Stunde später erkennt man den Laden kaum wieder. Ein paar Zimmermänner haben die Deko abgehängt, riesige spiegelnde Metallbälle und neonfarbene Reifen. Zwei Lichttechniker kurbeln das LED-beleuchtete Eingangsportal herunter, die Hälfte der Sofas steht schon gestapelt im Hinterhof. An sieben Nächten die Woche wird imPacha gefeiert, aber das ist nur die öffentlich sichtbare Hälfte der Arbeit. Denn nahtlos an jede Party schließt sich eine komplette Entkernung an. Jeder Wochentag wird von einem berühmten DJ kuratiert, und jeder hat ein eigenes Konzept, eigene Requisiten, ein eigenes Promo-Team, sogar ein eigenes, speziell designtes Eingangstor. Die Mitarbeiter nennen das Pacha auch fábrica de la alegría. Und die Fabrik der Freude steht nie still.
Tagsüber, während die Barkeeper schlafen und die Promoter in schwarzen Vans über die Insel fahren, wieseln zwei Dutzend Arbeiter in schwarzen Cargoshorts durch den Club. Für „Robin Schulz und Freunde“ befestigen sie verspiegelte Puppen unter der Decke, leuchtende Käfige in den Ecken, riesige Quallen mit Gummilamellen über der Tanzfläche. Ein festangestellter Schreiner aus Uruguay leimt derweil in der clubeigenen Werkstatt ein Geländer zusammen. Als letzte Amtshandlung klicken um 23.50 Uhr zwei Sicherheitsleute die dicken roten Seile zwischen die Pfosten, die die VIP-Tribünen vom Rest des Clubs trennen. Dann geht das Licht aus und die Musik an.
Sieben Mal in der Woche alles ab- und wieder aufbauen: Hinter diesem irrwitzigen Aufwand steht eine Kalkulation. Mehr als drei Millionen Touristen kommen jährlich nach Ibiza. Sie geben pro Kopf mehr Geld aus als die Gäste der anderen balearischen Inseln, bleiben aber nicht so lang: im Schnitt nur 7,6 Tage. An jedem davon, so die Idee, sollen sie ins Pacha kommen. Und dort immer wieder was Neues sehen.
„Das hier ist Champions League“, sagt der Tourmanager von Robin Schulz, „alles ist größer, teurer, wichtiger.“ Tatsächlich ist dieses Versprechen von Ibiza unschlagbar: Komm her, und du siehst jeden Tag in jedem Club Weltstars. Die Urlauber erfahren davon spätestens auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt; auf der Schnellstraße fahren sie durch einen Wald aus gigantischen Werbetafeln. Alle zeigen die Gesichter von Männern und das Logo des jeweiligen Clubs. Sven Väth im Amnesia. Jamie Jones im DC-10. Kygo im Ushuaia. Pete Tong im Blue Marlin. Und eben Robin Schulz im Pacha. Wollte man ihn ein paar Wochen später in München sehen, müsste man sich mit 9000 Menschen in die Olympiahalle stellen. Das Angebot auf Ibiza ist ungefähr so spektakulär, als spielte Elton John jeden Donnerstag im Circus Krone.
Doch profitieren die Stars immer noch mehr vom Mythos der Kirschen als umgekehrt. Der Manager eines der bekanntesten DJs der Welt erzählt, der Musiker bekomme für einen Auftritt normalerweise 70 000 Euro. Für seine Nächte im Pacha habe er sich auf 20 000 geeinigt. Der Club hat eine solche Strahlkraft, dass ihm selbst Superstars 70 Prozent Rabatt gewähren.
Um kurz vor zwei Uhr morgens hält Schulz’ Geländewagen vor dem Nebeneingang des Clubs. Schulz steigt aus, zwei italienische Fans machen Selfies mit ihm. Dann läuft er mit seiner Freundin und dem Tourmanager durch das Gewirr der Gänge in den Backstageraum: Sechs Quadratmeter ohne Fenster, nur ein kleiner Tisch und ein Flachbildschirm. Er zeigt das Live-Bild von der Tanzfläche. Der Warm-up-DJ, ein bekannter französischer Produzent namens Vitalic, ist fast fertig. Schulz nimmt seine Sonnenbrille und steht auf.
Eine eigene Nacht auf Ibiza kann einen DJ zum Popstar machen. David Guetta etwa, dem dieses Jahr zusammen mit Schulz der Donnerstag im Pacha gehört. Er ist einer der dienstältesten DJs im Club, und seit er hier drinnen Ende der Nullerjahre von Weltstars wie Kelly Rowland und den Black Eyed Peas entdeckt und als Produzent engagiert wurde, auch einer der reichsten. Das Magazin Forbesschätzt Guettas Einnahmen aus dem Jahr 2017 auf 25 Millionen Dollar.
Wie die meisten der berühmtesten DJs der Welt wohnt er mindestens den Sommer über hier. Ibiza ist geografisch gut gelegen, für zweistündige Auftritte auf Festivals in Holland nimmt man den Privatjet. Wer in der Einflugschneise, am Strand vor dem Ushuaia, zehn Minuten in den Himmel blickt, zählt ungefähr genauso viele Learjets wie Transavia-Billigflieger.
Der Bürgermeister dieses Irrsinns heißt Rafael Ruiz. Er ist 39 Jahre alt, drahtig, trägt Jeans und steht vorm Panoramafenster seines Büros auf einem Hügel in Ibiza-Stadt. „Wussten Sie, dass wir hier eine der ältesten phönizischen Siedlungen der Welt haben?“ Er dreht sich gar nicht um, er weiß die Antwort. Jeder auf der Welt kennt seine winzige Insel, aber eben nur für ihre ausschweifenden Nächte. Sogar sein Stellvertreter im Rathaus ist DJ, er legt in der Nebensaison im Pachaauf.
Ruiz hat wegen des Nachtlebens viel Ärger, die Bewohner der Hauptstadt beschweren sich ständig über Lärm. Außerdem steckt Ibiza in einer Wohnungskrise, weil jeder Hausbesitzer lieber teuer an Touristen vermietet. Der Hügel, auf den der Sozialdemokrat Ruiz von seinem Fenster aus in der Ferne blickt, ist gesprenkelt mit Luxusvillen. „In den meisten davon wohnt nur vier Wochen im Jahr jemand.“ Trotzdem, jeder hier lebt letztlich vom Tourismus, ob die Gäste nun tagsüber phönizische Siedlungen besichtigen oder ihren Rausch ausschlafen. Von der Krise, die Spanien bis heute plagt, habe man auf Ibiza jedenfalls nichts gemerkt.
Es ist 4.15 Uhr, hinter dem DJ-Pult hat es sicher 35 Grad. Die Tanzfläche dampft, Dschungelklima. An der Bar kostet eine Miniflasche Wasser zehn Euro, weil man weiß: Ein erheblicher Teil der Gäste nimmt eine Pille und trinkt danach nur noch Wasser. Und auf der Toilette ist die Ablage am Waschbecken verdächtig weiß eingestaubt, obwohl die Klofrau regelmäßig wischt.
Ein Helfer schleppt Kisten auf die Bühne. Eben haben die 13 Frauen vom Strand eine Oben-ohne-Performance auf einer Empore hingelegt. Jetzt schaufeln der Tourmanager, die Freundin und der Fahrer von Robin Schulz blinkende Kunststoffröhren aus den Kisten in die Menge. Per Fernsteuerung leuchten sie gleichzeitig erst weiß, dann pink, dann in Regenbogenfarben. Schulz breitet die Arme aus, bis das Johlen laut genug ist, dann ballern Kanonen unter der Decke eine Wagenladung Plastikschnipsel in die feuchte Luft.
In seiner allerersten Nacht 1967 machte das Pacha umgerechnet 206 Euro Gewinn. Am Plattenspieler stand der Bruder von Ricardo Urgell. Der Chef erzählt die Geschichte in einem Dokumentarfilm, den ihm ein spanischer Fernsehsender vor ein paar Jahren gewidmet hat, er heißt „El arquitecto de la noche“, der Architekt der Nacht.
Die Brüder Urgell siedelten 1973 aus dem grauen Franco-Spanien nach Ibiza über. Die Insel war seit den Sechzigern ein fester Teil des Hippie-Trails nach Goa und Kathmandu. Die Urgells wiederholten dort den Trick, der sich auf dem Festland bewährt hatte: Sie kauften ein billiges Landhaus, dekorierten es bunt und spielten Rockmusik. „Jeden Freitag gab es LSD“, schwärmt ein Mitarbeiter aus jener Zeit in dem Film, „und sonntags gleich noch mal.“ In den ersten Jahren tanzten die Gäste oft und gerne nackt.
Bald öffnete Urgell nach diesem Prinzip Discos in anderen Städten. Barcelona, Madrid, Valencia. Anfang der Achtziger kam ein neuer Musikstil aus den USA in Europa an: House. Und die dazu passende Droge: Ecstasy. Urgell machte sich nichts aus der neuen Musik oder Drogen, aber er hörte auf Freunde und stellte das Pacha auf House um. Bald hatte der neue Sound aus Ibiza einen eigenen Namen: „Balearic House“. Die Finca wurde jetzt alle paar Jahre umgebaut und vergrößert, das Konzept internationaler.
Die Kirschen fanden ihren Weg bis nach München. René Vaitl betrieb damals, 1997, das KW, einen Technoclub im Kunstpark Ost. Einmal ließ er einen Pacha-DJ aus Ibiza auflegen – und druckte das Kirschlogo groß auf die Flyer. „War natürlich ein bisschen frech“, sagt Vaitl heute, „aber da haben wir sofort gemerkt, was für eine positive Energie das bringt.“ Es kamen mehr Leute als sonst. Und vor allem: solche, die im Club kein Bier bestellten, sondern Wodka. Und zwar in der Literflasche im Eiskübel. Die besondere Pacha-Stimmung, Vaitl beschreibt sie als „mondän, sexy, aber nie schnöselig“.
Im Winter 2000 eröffnete Vaitl mit zwei Kollegen das erste Pacha in Mitteleuropa. Die Erlaubnis, den Namen und das Logo benutzen zu dürfen, gab ihnen Ricardo Urgell per Handschlag. Ein Architekt aus Ibiza begutachtete Raumaufteilung und Dekoration. Es gibt ungeschriebene, strenge Regeln, wie ein Pacha auszusehen hat: Es muss einen gut einsehbaren, leicht erhöhten VIP-Bereich geben, in dem man Tische reservieren kann. Und Palmen.
René Vaitl und sein Partner Michi Kern sind heute die dienstältesten Franchisenehmer. Ein Wirtschaftsmagazin berichtete vor Jahren, Vaitl und Kern zahlten 90 000 Euro im Jahr für die Lizenz – was sie weder bestreiten noch bestätigen wollen. Sie lächeln nur und sagen, im Vergleich zu den Pacha-Betreibern aus Dubai oder Macau hätten sie vermutlich „einen ganz guten Deal“. Der Laden läuft jedenfalls länger als die meisten anderen Clubs in München.
Wie hält sich das Pacha seit Jahrzehnten an der Spitze einer so vergänglichen Branche? Eine Antwort ist: Die Musik, zu der man dort in den Achtzigern tanzte, hat sich danach weltweit etabliert. House und Techno haben einen beispiellosen Aufstieg erlebt, aus europäischen Untergrundclubs in den Pop-Mainstream der Welt. Der Branchenverband IMS verzeichnet seit Jahren ein massiv steigendes Marktvolumen für elektronische Musik, im Jahr 2017 lag es weltweit bei 7,4 Milliarden Dollar. Aber auf Ibiza, im Schaufenster der Branche, gibt es deshalb auch Ärger. Der Streit lässt sich umreißen mit zwei Zahlen: Im Jahr 2000 gab das Pacha insgesamt knapp eine Million Euro für DJs aus. Im Jahr 2015 waren es zwölf Millionen.
Und das kam so: Der langjährige Musikchef des Clubs hatte das Wachstum der elektronischen Musik erkannt und sich entschlossen, auf große Namen zu setzen. Und zwar jeden Tag in der Woche. Die Männer hinter den DJ-Pulten hatten für das Pacha und bald auch für die anderen Clubs plötzlich den Status von Fußballprofis: Wer den richtigen Namen in seinem Team hatte, verkaufte seinen Laden selbst an einem Montag aus.
Die Chefs der Clubs zogen mit. Aber irgendwann wurde es einem von ihnen zu bunt. In dem Dokumentarfilm sitzt Urgell mit einem Weinglas auf einer seiner Segelyachten und sagt: „Ich bin der, der diese DJs zu Stars gemacht hat.“ Dann greift er sich selbst an die Gurgel: „Und jetzt haben die mich so!“ Er feuerte seinen damaligen Musikchef. Daraufhin verließen viele Stars das Pacha. Die meisten legen heute bei der Konkurrenz auf – und bekommen dort, sagt der ehemalige Musikchef, „noch viel mehr als sie damals von uns verlangten“. Die große Frage: Welcher Strategie folgen die neuen Besitzer?
Mai 2018. Pedro Martínez gibt sich Mühe zu lächeln. „Scheißtag“, murmelt er, greift sich sein iPhone und verlässt sein Büro, das im ersten Stock eines Hochhauses direkt neben dem Club liegt. Martínez ist der neue Marketingdirektor, die neuen Besitzer haben ihn erst vor ein paar Monaten angeheuert. Das Pacha ist traditionell die einzige Disco auf Ibiza, die während des Winters geöffnet hat, auch dafür lieben sie die Einheimischen. Aber in diesem Winter haben die Investoren den Club renovieren lassen – und sich damit auf der Insel nicht gerade beliebt gemacht. Martínez, ein Madrilene mit Vollbart und Rolex, muss jetzt dafür sorgen, dass wenigstens die Eröffnung alle wieder beschwichtigt. „Mal sehen, wie lang ich mich halte“, grinst er an diesem Scheißtag. Der Umbau ist noch nicht fertig. Morgen ist Wiedereröffnung.
Nicht nur die Chefetage wurde ausgewechselt. Die Investoren haben zum Jahresende auch fast alle Franchise-Lizenzen gekündigt. Das Imperium, die Fabrik der Freude, ist geschrumpft. Sieben Clubs, so wenige waren es seit 30 Jahren nicht mehr. Zur Strategie gehöre es, sagt Marketingchef Martínez, die Kette erst gesundzuschrumpfen, um dann massiv zu wachsen. In der Branche kursiert die Zahl 85 – so viele Filialen wolle das neue Management eröffnen, darunter auchPacha-Hotels und -Restaurants. Einige Mitarbeiter lästern, die Firma sei zu „Frankensteins Monster“ geworden. Ein Mythos, entstellt bis zur Unkenntlichkeit.
An diesem Tag, da die Altstadt noch weitgehend leer ist und die Wirte am Hafen in aller Ruhe ihre Fensterläden lackieren, ist die anstehende Wiedereröffnung das Thema der Insel. Ein Maler und ein Kellner spekulieren beim Mittagessen, ob die neuen Besitzer nun etwa bald auch von Einheimischen Eintritt kassieren würden.
Das neue Konzept können sie schon an jeder Ecke sehen. Die Plakate zur Wiedereröffnung sind von Hand gestaltet, außerdem hat der Club einen neuen Slogan: „Der Herzschlag der Insel“. Darin kann man einen dezenten Gegenangriff auf Abel Matutes sehen, den Konkurrenten von der anderen Seite der Stadt. „Die anderen werden immer edler und machen einen auf Las Vegas“, sagt der neue Marketingchef und meint Ushuaia und The Hi. „Deshalb werden wir wieder mehr zum ibizenkischen Original.“ Auf den neuen Plakaten sieht man eine Frau in der balearischen Bauerntracht vor einem Plattenspieler. Die Strategie der Investoren scheint zu lauten: Rückkehr zum Lokalen. Besinnung auf die Tradition. Wird das reichen?
Nicht leichter macht den Neustart Rafael Ruiz, der Bürgermeister mit dem auflegenden Stellvertreter. In diesem Sommer tritt eine neue Regelung in Kraft, sie verordnet Strandclubs eine strenge Obergrenze für Lautstärke. „Wird das hier jetzt zum Kloster?“, fragt die Asociación Ocio de Ibiza, eine Lobbyvereinigung der Clubbetreiber. Immerhin: Nachdem sich der berühmteste Club der Insel jahrelang geweigert hatte mitzumachen, sind die neuen Pacha-Chefs der Lobbygruppe gerade beigetreten. Vielleicht ein Zeichen für den Ernst der Lage. Aber auch dafür, dass mit dem Abtritt des Patriarchen der Konkurrenzkampf auf dem Nachtmarkt langsam abkühlt.
Pedro Martínez, der neue Marketingchef, überquert mit schnellen Schritten die leere Tanzfläche und guckt immer wieder auf sein Handy. Das umgebaute Pacha wirkt kaum verändert, nur etwas aufgeräumter. Der Architekt sagt, er habe seinen Auftrag vor allem so verstanden: „Nichts von der Magie kaputtmachen!“
Es riecht nach Lack, ein Tontechniker mit Stirnlampe kriecht unter dem neuen DJ-Pult herum. Weiter hinten polieren die Barkeeper schon Gläser, vorne auf einer Plastikkiste steht eine Sängerin und singt „Hallelujah“ von Leonard Cohen. Malerarbeiten, Dekoration, Soundcheck – alles muss jetzt gleichzeitig passieren.
Auf einem VIP-Balkon bleibt Martínez stehen, immer noch sein Handy in der Hand. Es macht Ping, er öffnet eine Mail, er lächelt breit. Seit die neuen Chefs übernommen haben, muss der Club jeden Donnerstag die aktuellen Zahlen an die neuen Besitzer nach London berichten. Heute sind es die bisher verkauften Tickets zur bevorstehenden Wiedereröffnung. Genaue Zahlen dürfe er nicht nennen, sagt der Marketingchef. „Aber es sind dreimal so viele wie heute vor einem Jahr.“ Auf ihrer Kiste ist die Sängerin mit ihrem „Hallelujah“ fertig. Pedro Martínez applaudiert laut.
Der Chef des Lobbyverbands hatte einen interessanten Satz gesagt: „Wir wollen ja alle, dass das neue Pacha so erfolgreich wird wie nie.“ Auch wenn der Konkurrenzkampf auf Ibiza immer noch hart ist – selbst Erzfeind Matutes weiß: Die Kirschen sind Botschafter für Ibiza in der ganzen Welt. Ihre Bekanntheit hilft allen. „Das Pacha ist wie eine Sonne, die auf alle abstrahlt“, sagt der ehemalige Musikchef der Disco. „Außer sie strahlt nicht. Dann ist das Pacha wie ein Gewicht, das alle runterzieht.“
Um kurz vor zehn Uhr abends, zwei Stunden bevor der Laden offiziell aufmacht, steigt eine riesige Discokugel hinter dem DJ-Pult auf. Die exklusiv geladene Gesellschaft steht darunter und klatscht. Es gibt Austern und Weißwein, der Bürgermeister ist da, der Polizeichef und ein Clubbesitzer mit Bodyguard. Abel Matutes, der Konkurrent von der anderen Seite der Stadt, lässt sich nicht blicken – dafür steht weiter hinten auf einer Empore Ricardo Urgell, der alte Patriarch. Das schlohweiße Haar leuchtet im Schwarzlicht.
Als die Discokugel unter der Decke einrastet, drückt der DJ eine Taste. Ein Hit aus den späten Achtzigern taktet das neue Zeitalter ein. Er heißt „Promised Land“.