Vor einem Jahr fingen Menschen im Internet an, Wörter zum Spaß falsch zu schreiben. Heute postet sogar die Polizei Sätze wie „Halo wir sims die Schlaucops“. Alles ganz lustig? Von wegen: „Vong“-Aktivisten streiten erbittert darüber, wer die Witzsprache erfunden hat
Der Mann mit dem Decknamen H1 klingt todernst. „Es sind falsche Informationen an die Öffentlichkeit gelangt“, raunt er gleich als Erstes ins Telefon. „Egal, was die anderen sagen: Wir haben das ganze Thema groß gemacht.“ Dass jetzt alle über das „Vong“ sprächen, dass es Bücher gäbe und Live-Auftritte, dass Journalisten anriefen, „da stecken wir dahinter.“ Direkt nach dem Gespräch schickt der Mann noch eine Ermahnung per Mail: „Bitte vergessen Sie nicht, dass ich im Artikel nicht namentlich genannt werden möchte. Offiziell bin ich H1.“
Man muss an dieser Stelle wohl erklären, dass der Mann mit dem Decknamen H1 kein Kronzeuge in einem Mafiaprozess ist, sondern ein im Internet sehr erfolgreicher Komiker. Das Interview findet statt, weil H1, im echten Leben ein 20-jähriger BWL-Student aus Norddeutschland, dieser Tage ein Buch im Ullstein Verlag herausbringt. Es heißt „Vong. Was ist das für
1 Sprache?“ und soll eine Art offizielles Wörterbuch sein für die sogenannte Vong-Sprache. Dabei handelt es sich, laut Klappentext, um „ein ganz neues Deutsch jenseits aller bekannter Rechtschreib- und Grammatikregeln und mit ganz eigener Logik“. Warum dann bloß die Heimlichtuerei?
Wer in den vergangenen zwölf Monaten mal im Internet war, wird vermutlich zumindest am Rande eine dieser Formulierungen mitbekommen haben: „Was ist das für 1 life?“, „Serwus i bims“, „Nicer Tag vong Sonne her!“ Es ist eine Art Volkssport von durchaus gebildeten Menschen geworden, in Kommentarspalten und Tweets die deutsche Sprache möglichst kunstvoll zu verhunzen. Je mehr ein Satz danach klingt, als hätte ihn ein ungebildeter Troll mit dicken Fingern schnell mal in die Tastatur gepatscht, desto besser.
H1 (der Name ist „vongolisch“, man spricht ihn einfach Heinz) betreibt eine Facebook-Seite namens VONG. Dort werden ausschließlich Witze in der Quatschsprache geteilt, sie gehen zum Beispiel so: „Manche Menschem simd wi 1 Lavalampe. Es isd toll si zung beobachtem abba besomders hell simd si nichd.“ Von den Dutzenden Seiten, die sich der Sprache inzwischen widmen, ist VONG die erfolgreichste, sie hat mehr als eine halbe Million Fans. Mit einem Beitrag erreicht sie oft mehr Menschen als der Facebook-Auftritt der „Tagesschau“. So viel zur Frage, ob das wirklich jemand witzig findet.
Allerdings gibt es gerade Stress. Die Betreiber von drei anderen großen Vong-Seiten auf Facebook und Twitter sind sauer. Einerseits auf H1, weil sie finden, er sei ein dreister Trittbrettfahrer und das Buch eine einzige Frechheit. Aber auch untereinander. Denn Teile der Vong-Szene haben beschlossen, die Witzsprache zu monetarisieren, mit Büchern, Merchandise oder Lesungen – was der Rest als Ausverkauf einer Idee begreift, die allen gehört. Deshalb will H1 gleich etwas klarstellen: „Die anderen haben das nicht erfunden. Die haben gute Arbeit geleistet und ein, zwei kleine Dinge vorgelegt, die Sache mit der 1 zum Beispiel. Aber H& statt Hund zu schreiben, oder Q statt Kuh, das stammt von uns!“ Wenn das so ist, könnte man dann nicht vielleicht doch seinen echten Namen ...? Nein, auf keinen Fall. Die Gemüter kochen zurzeit hoch, sicher ist sicher.
30 Millionen Deutsche sind aktuell bei Facebook. Und weil man sich dort vor allem schriftlich mitteilt, ist korrekte Sprache heute ein wichtigeres Distinktionsmerkmal denn je. Wer in seinen Postings „seid“ und „seit“ verwechselt, zu viele Ausrufezeichen oder falsche Kommata setzt, gilt umgehend als Trottel, egal was er zu sagen hat. Ein halbes Dutzend vorgeblich politischer Seiten machen den ganzen Tag nichts anderes, als lustige Rechtschreib- und Grammatikfehler von AfD-Anhängern zu teilen. Insofern war die absichtlich hirnlose Witzsprache in ihren Anfangstagen quasi Punkrock.
Aber das ist lange vorbei. Jetzt brodelt der Streit um die Vermarktung. Eine Ursache dafür ist, dass H1 sich in seinem Buch recht unbescheiden als „der bekannteste VONG-Protagonist“ vorstellt – obwohl er seine Seite erst im Februar dieses Jahres gegründet hat. Andere, die schon seit mehr als zwei Jahren erfolgreich Texte auf „Vongolisch“ posten (und die er gelegentlich abschreibt und selbst teilt), erwähnt er mit keinem Wort. Nicht ganz unwichtig dürfte außerdem sein, dass durch den Buchvertrag nun ein 20-jähriger BWL-Student als Erster Geld an etwas verdient, das andere schon seit Jahren ehrenamtlich sozusagen im Dienste des Humors machen.
Derjenige, der ihm das am übelsten nehmen könnte, sitzt breitbeinig im Büro seines Managers mit Blick auf ein Klettergerüst und wischt über das Display seines Smartphones. Sebastian Zawrel, 32, ist ein Mann mit Hoodie, lustigen Augen und dem sympathisch zerkauten Dialekt seiner oberpfälzischen Heimatstadt Amberg. Er betreibt seit mehr als zwei Jahren die Seite „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“, die fehlende Dativ-Flexion ist natürlich kein Zufall. Die Seite hat mehr als 350 000 Fans, und nicht wenige schreiben ihr das größte Verdienst um die Verbreitung der Vong-Sprache zu.
Zawrel hat gefunden, was er im Smartphone gesucht hat, er hält das Display hoch: ein Beitrag vom 6. Dezember 2015. „Hier, der erste Eintrag, in dem das Wort Vong vorkommt. Von wegen der hat das erfunden!“
Er selbst nehme das dem Typen von der VONG-Seite nicht krumm, sagt er. Aber weil er selbst auch einiges an Hass einstecken muss zurzeit, könne er das ja mal feststellen: „Die Idee, vong statt von zu schreiben, hatte tatsächlich ich.“ Aber die Nerven der restlichen Vong-Gemeinde sind aktuell etwas dünn. Als Zawrel vor ein paar Wochen im Vorspann eines Zeitungsartikels als „Erfinder der Vong-Sprache“ bezeichnet wurde, riefen Tausende wütende Fans einer anderen Seite auf Twitter zum Boykott auf. Darunter so prominente wie der Rapper Jan Delay oder Felix Brummer von der Band Kraftklub.
Aus einer wunderbar albernen Idee, die deutsche Sprache gemeinschaftlich kreativ zu verhunzen, ist ein kleinlicher und ziemlich deutscher Streit um Deutungshoheit und Urheberschaft geworden. Es wird beleidigt, beschimpft, bedroht. Und ein paar der ironischsten Witzbolde des Internets keifen plötzlich wie die Hausmeister.
Angefangen hat Zawrel damals, weil ihm „langweilig war“, während er mit Grippe zu Hause lag. Er meldete sich mit einem erfundenen Namen auf Facebook an und schrieb in lokale Foren aus seiner Heimatstadt Kommentare, die vor Fehlern und Hirnrissigkeit nur so strotzten. „Die Leute sind da total drauf abgegangen.“ Sie beschimpften ihn oder lachten ihn aus, jedenfalls drehte sich jede Diskussion im Handumdrehen nur noch um die dämlichen Kommentare seines Alter Egos. Und Zawrel, der schon sein Leben lang ein großer Verehrer von Helge Schneider ist, hatte ein neues Hobby. „Die Wut und die Überheblichkeit der Leute waren dann sozusagen mein Ansporn.“
Seit März 2015 stellt er täglich mehrere „Nachdenkliche Sprüche“ auf seine Seite. Sie sind fast immer gerade so dämlich und abgedroschen, dass sie tatsächlich ernst gemeint sei könnten. Über ein Foto von einem Heißluftballon im Sonnenuntergang schreibt er zum Beispiel: „Du muss die Vergagenheit los lassen damit die Zukumft 1 Chongse han“. Seine Hunderttausenden Fans feiern die Ironie natürlich unter dem Bild längst mit Kommentaren auf Vongolisch. Trotzdem bekommt Zawrel noch wöchentlich Zuschriften von ihm unbekannten Menschen, die ihn rüde auffordern, seinen Account gefälligst zu löschen oder ihm gönnerhaft erklären, wie die Rechtschreibprüfung von Word funktioniert. „Immer wieder mein Highlight“, sagt Zawrel.
Auch er hat vor Kurzem angefangen, seinen Erfolg von Facebook auf andere Kanäle auszuweiten. Er schreibt gerade ein Buch unter seinem Online-Pseudonym Willy Nachdenklich. Er war zu Gast in einer Germanistik-Vorlesung der Uni Bamberg, der Professor hatte ihn eingeladen. Hin und wieder veranstaltet er auch Lesungen, auf denen er dann mit einer Groucho-Marx-Maske verkleidet seine „Nachdenklichen Sprüche“ vorträgt. Wie unterhaltsam es wirklich ist, Rechtschreib- und Grammatikfehler live vorgelesen zu bekommen, sei dahingestellt – aber die Tickets zur Lesetour im Herbst verkaufen sich bestens, sagt sein Manager.
Seitdem fing der Stress jedenfalls an. Auf den Zeitungsartikel hin brach auf Twitter ein Sturm der Beschimpfungen los:
Die Nutzer mit den Pseudonymen Paul Rippé und Kurt Prödel, denen ebenfalls jeweils Zehntausende Fans wegen ihrer in Quatschsprache geschriebenen Tweets folgen, fühlten sich offenbar gekränkt.
Sie gründeten den Hashtag #KeinApplausfürWilly. Zwei Tage war er einer der meistbenutzten in Deutschland, Zawrel wurde als „Schwindler“ und „Erfinder der Hurensöhnigkeit“ bezeichnet, einige schlagen vor, die anstehenden Lesungen mit Wasserpistolen zu stürmen.
Er mache sich da nicht viel draus, sagt er und steckt das Telefon weg. Die beiden Twitteraccounts, die ihm vorwarfen, ihre Erfindung geklaut zu haben, habe er bis dahin gar nicht gekannt. Tatsächlich wirkt der Vorwurf des Abkupferns, wenn man ihn mal einen Moment ernst nehmen möchte, reichlich weit hergeholt: Der Account von „Paul Rippé“ zum Beispiel hat seinen ersten Tweet überhaupt erst im Januar 2016 abgesetzt, da gab es die „Nachdenklichen Sprüche“ schon fast ein Jahr. Nun ja.
Ohnehin sind sich alle Vertreter der Vong-Szene, egal wie zerstritten, in einem Punkt einig: Ihr Vordenker ist der Rapper Money Boy. Der Österreicher wurde 2010 schlagartig internetberühmt mit dem Song „Dreh den Swag auf“, einer legendär tölpelhaft übersetzten Version eines amerikanischen Rap-Songs. Im Video posiert Money Boy unter anderem vor einem Ferrari, der sichtbar in einem Wiener Autohaus steht – und genießt seither trotz allen Spotts den ziemlich einzigartigen Ruf, eventuell doch gar keine Lachnummer, sondern eine komplett ironische Kunstfigur zu sein, die wirklich alle an der Nase herumgeführt hat.
Sogar Sprachwissenschaftler beschäftigen sich inzwischen mit Money Boys Einfluss auf die Sprache. Dass heute zum Beispiel Millionen Deutsche das Wort nice benutzen, geht ebenso auf Money Boy zurück wie das Ersetzen des unbestimmten Artikels durch die Ziffer 1. Auf eine Interviewanfrage der SZ reagiert der Rapper nicht, aber wer in seinem Twitter-Archiv gräbt, findet ihn tatsächlich: den Urknall für die Vong-Sprache. Den ersten Tweet, in dem die Wendung „von ... her“ in Kombination mit der 1 vorkommt. Er stammt vom 30. Juni 2014 und lautet:
„m1 ist steif von 1 sexy girl her“.
Um sich der epochalen Bedeutung dieses Satzes ganz bewusst zu werden, muss man bei Dr. Alexander Lasch anrufen. Er ist Linguist an der Uni Kiel und hat seine Antrittsvorlesung in diesem Sommersemester der Vong-Sprache gewidmet. Darin referierte er über „die Bedeutung der Zirkumposition und ihre pragmatischen und variationslinguistischen Aspekte“. Lasch klingt ehrlich begeistert von der Quatsch-Formulierung. Er hält es sogar für möglich, dass sie sich dauerhaft im Sprachgebrauch etablieren wird: „Money Boy hat damit eine Lücke gefüllt. Diese Konstruktion ermöglicht es, eine Aussage mit wenig Aufwand nachträglich zu präzisieren. ,Ich kann nicht ins Kino vom Geld her‘ ist viel ökonomischer als ,Ich kann nicht ins Kino, weil ich zu wenig Geld habe‘. Ein neues Sprachmuster von dieser Qualität ist selten!“
Sebastian Zawrel will nicht sagen, dass er das vorhergesehen habe – „aber dass ich da einen Nerv getroffen hab, war mir schnell klar“. Spätestens seit im August vorigen Jahres die Sparkasse eine Anzeige schaltete mit dem Text: „Gönn dir ist einfach. Wenn man 1 gute Bank hat vong Vorsorge her.“ Burger King, der Duden Verlag und unzählige Privatradiosender, Magazine und Versicherungsgesellschaften haben seither mit „Vong“ geworben, ohne dass Zawrel auch nur einen Cent bekommen hätte. Eine junge Familie suchte kürzlich per Anzeige in einer Kasseler Lokalzeitung nach „1 schöne Wohnung vong Lage her, aber auch vong Preis“. Und die Frankfurter Polizei postete im Juni über ihren offiziellen Facebook-Kanal: „Halo wir sims vol die Schlaucops“.
Dass die Vong-Sprache auch nach Hunderten solchen Anbiederungen noch massenhaft verwendet wird, zeigt vielleicht am deutlichsten, wie tief das Phänomen schon einsickert ist. Und wie grandios witzlos der Versuch ist, noch auf irgendeine Urheberschaft zu verweisen. Wer im Übrigen etwas tiefer gräbt, findet frühe Formen der Vong-Sprache sogar noch aus der Zeit vor Money Boy, H1 und Willy Nachdenklich: „Gestern hat Thomas ein 2k vom Biernbaum abgebrochen und 1 Ratte doht gemacht.“ Der Satz stammt nicht von Facebook oder Twitter, sondern aus einem handgeschriebenen Brief von Pippi Langstrumpf. Gepostet 1945, im Buch „Pippi geht an Bord“.